Hinrich Lühmann
Alma Mater
Lehren, Lernen, Oralität
1992 habe ich mich zum ersten Mal öffentlich mit Formen des Wissens auseinandergesetzt, die in der Schule eine Rolle spielen. Die traditionelle Ernährungs-Metapher hilft, einige Vorgänge des Lernens besser zu verstehen - wie zum Beispiel die Wissens-Anorexie. Aus heutiger Sicht mag der Jargon des Vortrags stören - damals war ich noch ein eifriger "Lacanianer". Lacans bisweilen krude Begriffswelt bietet aber durchaus die Chance, einen anderen Blick auch auf Vertrautes zu wagen. Vielleicht ist einiges noch heute interessant. Mich jedenfalls hat vieles weiter begleitet; die meisten Motive dieses Vortrags werden in den folgenden Jahren aufgegriffen, gelegentlich weiterentwickelt.
... ich habe Ihnen einen komplizierten Weg zugemutet. Ich habe zwei Ebenen der Wißbegier unterschieden, eine des oralen Bedürfnisses und eine des Begehrens. Beiden Stufen entsprechen verschiedene Formen des Wissens. Dabei kann es nicht darum geht, sie gegeneinander auszuspielen. Aber vielleicht ist das Dilemma des Lehrerberufes etwas besser zu verstehen. Wir kommen um die „Fütterung“ nicht herum. Doch in der Vermittlung der Kulturtechniken und des Standardwissens muß in Anlehnung an das Kantsche „Wage zu wissen!“ ein zweites Ziel verfolgt werden: „Wage zu begehren!“. Nur so werden die jungen Leute nicht der fatalen Illusion einer Endlichkeit und Handhabbarkeit erliegen. Damit dies gelingt, muß der Lehrer sich auch in die hysterische Figur begeben, darf sich aber nie zum Meister machen, der über das Wissen verfügt.
In unseren Speisemetaphern gesprochen: auf der ersten Ebene muß der Lehrer den Kindern das Maul stopfen; aber auf der zweiten heißt es „Füttern verboten!“
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