Rachulle

Die meisten Handlungsorte des Romans befinden sich in Berlin-Frohnau und auf der Schulinsel Scharfenberg, einer reformpädagogischen Schulgründung von 1920, auf der auch Lühmanns „Held“ prägende Zeiten verbringt, eh er sich von Familie und Freunden trennt und auf einem Gut in Schlesien eine Lehre antritt, besoffen von der NS-Ideologie, getrieben davon, als „Mann“ Hitlers „Reich“ seine Dienste zu erweisen, gleichzeitig angezogen vom Glauben und den Ideen der Bekennenden Kirche – letztlich ein Konflikt, der unauflösbar dasteht, Lühmanns Geschichte aber umso komplexer werden lässt. Fritz ist ein Verführter, ein Suchender, ein Glaubender, kein Gottloser, ein „kleiner“ Täter, in dem man so vieles von den schlechten deutschen Eigenschaften sieht, und der uns vorschnell moralisieren lässt: So verschlingen nationalistische Ideologien ihre Kinder. Aber Lühmanns Roman ist eben zu widersprüchlich. Gekonnt verwebt er klassische Bildungsideale, reformpädagogische Visionen, nationalistische Umtriebe, männerbündische Selbstspiegelungen und Irrungen, Kirche und Berlin als Bühnenbild so dicht, dass einfache Lehren eben nicht gezogen werden können und der Autor sogar das Kunststück vollbringt, seine Leserinnen und Leser Sympathie für einen Jungen, der Nazi wird, verspüren, sie selbst zu Verführten und schließlich Beschämten werden zu lassen. Nach einem solchen Wechselbad der Gefühle könnte man am Ende dieses bei aller Komplexität sprachlich so leichten Romans nicht nachdenklicher sein. Ein Buch, das ins Herz geht und den Kopf beschäftigt.

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