Hinrich Lühmann
Feind-Seligkeit. Ein Vortrag über Fremdenhass.
Ein Hinweis im August 2012:
Dieser Tage wird an das Lichtenhagener Pogrom erinnert. Meine Überlegungen aus dem Jahr 1993, geprägt von Freud- und Lacan-Lektüre, versuchten das Ereignis zu verstehen. Ich wünsche mir, dass einiges trotz des psychoanalytischen Jargons Bestand hat.
1992 gab es in Rostock-Lichtenhagen die massivsten ausländerfeindlichen Ausschreitungen seit 1945 in Deutschland. Die dortige Asylbewerber-Aufnahmestelle wurde tagelang belagert und in Brand gesteckt. Während der Ausschreitungen wurden mehrere hundert rechtsextreme Randalierer von einer Menge von zeitweise bis zu 2.000 teilweise applaudierenden Schaulustigen beobachtet.- In einem öffentlichen Vortrag unter dem Titel "Feind-Seligkeit" habe ich mich im Januar 1993 mit dem Phänomen der Aggressivität auseinandergesetzt. Dieser frühe Text ist nicht frei von Lacanschen Manierismen; ich setze gleichwohl darauf, dass einige Kernthesen, die mir noch heute wichtig sind, zur Geltung kommen.
"Photographien dieser Tage: Das Gesicht ganz glatt, doch markiert durch eine dicke Falte quer
über Augen und Nasenwurzeln; kein Blick: nur Wulst, weit aufgerissen der Mund. Dieser Mann ist nur Schrei. Haßfratze.- Ein anderer Mann: rosig, feist, die Haut gespannt. Eine Hand am Koppel,
weitausgreifender Schritt, der Schädel kahl, linienlos sein Gesicht in trotziger Dummheit. Er ist nur eines: Schritt-und-Tritt.- Ein dritter: hochgereckter Arm, Bierflasche in der Hand:
Beifallsgrölen zur Rostocker Mordbrennerei. Die Hose vollgepisst: er ist voll und ganz im Schaugenuß angesichts der Vernichtung von Fremden. Ich karikiere? Nein, bereits die Photos, die ich
beschreibe, zeigen Menschen, die sich wie Karikaturen verhalten. Und zwar dadurch, dass sie sich auf einen markanten Körperzug, auf eine ritualisierte Geste reduzieren: Haßfratze, Machtmarsch,
Darstellung einer Erektion." ...
Download des ganzen Textes:
Lühmann 1993 Feind-Seligkeit.pdf
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